TEIL 1 | Runter von der Line: Über eine gesunden Umgang mit dem Internet

Die alltägliche gewöhnliche Online-Arbeit war schon immer eine große Herausforderung für mich. Noch während des ersten INMIR-Jahres erfuhr ich am eigenen Leib die extrem zerstörerische Intensität all dieser Onlinemedien. Ich war plötzlich ständig online und immer erreichbar. Von morgens bis nachts – keine Ruhe. E-Mails, Werbung, Google, Bestellungen, Telefonate, durchgehendes WhatsApp-Gebimmel. Täglich neue Freundschaftsanfragen von Unbekannten und damit einhergehend immer mehr Abneigung und Widerstand, inneres Ringen und doch kein Entfliehen.

Neben dem alltäglichen Offline-Leben stieg die Online-Intensität so an, bis zum Jahresende das Maß voll war. Die Luft war raus. Ich konnte das alles nicht mehr sehen, hören, ertragen. Als dann wieder einmal Sonntags spätabends das Handy klingelte, hatte ich genug. Ein Umdenken musste her – und zwar sofort. Ich hatte es alles so satt, fühlte mich so „verseucht“, konnte nicht mehr atmen, war so ausgelaugt. Ich wollte nicht mehr erreichbar sein, wollte nicht mehr sichtbar sein. Ich wollte nur noch weg.

Ich ging sofort und voll bewusst in einen Abstand. Machte alles für erstmal nur einen einzigen Tag aus. Zog mich selbst raus. Als würde ich mir eine Schlinge vom Hals nehmen. Ich merkte, wie unbewusste Gedanken mich zurückziehen wollten, immer und immer wieder. Ich fragte mich, ob das wirklich sein kann. Sind das wirklich meine Gedanken, bin das wirklich ICH? „Mach’ das Handy an, check’ die Mails, mach’ ein Posting…“ … NEIN. Das war ich nicht, das bin ich nicht, es kommt nicht aus mir – doch es hat sich tief in mein System geschlängelt.

Ich gab dem Drang nicht nach. Kalter Entzug. Zum Glück nicht lange. Ich ging in Meditation, immer wieder. Ich beobachtete mein System: Wo sitzen diese Stränge, die so an mir ziehen? Ich begann sie zu fühlen, und sie aus meinem System heraus zu ziehen. Ich war so baff. Ich befreite mich durch bewusste Entscheidungskraft und durch Erkennen mehr und mehr von diesen Strängen. Innerhalb kürzester Zeit wurde es klarer und klarer. Es entstand Raum. Die natürlichen Farben um mich herum wurden sichtbarer. Insgesamt fühlte ich mich lebendiger, immer lebendiger – und all das in kürzester Zeit.

Ein völlig neues Lebensgefühl. Ich fühlte mich so erneuert und gut, frei, wohl, klar, erfrischt. Es war ein so großer Unterschied. Das Handy konnte jammern und schreien wie es wollte – ich gab ihm nicht mehr die Macht, mich zu bestimmen.

Tatsächlich reichen diese Stränge bis ins Erbgut hinein, verändern es Stück für Stück. Programmieren jegliche Lebendigkeit langsam auf Leblosigkeit um. Ich spiele dieses Spiel nicht mehr mit, schwor ich mir. Ab da entstand ein neuer Umgang: WhatsApp unsichtbar, Wichtiges per SMS, 1-2 Mal täglich Mails checken, nichts mehr nebenbei, nur noch am Schreibtisch. Ich wurde immer wacher für das, was mich umgab. Ich begann diese Medien als Werkzeug zu nutzen – und nicht umgekehrt.

Es gibt Tage, an denen ich komplett offline bin und Tage, an denen ich öfter online muss. Und auch Tage, wo ich mich mal wieder mehr einwickeln lasse. Die Unterschiede sind so enorm. Ich merke: Je mehr Abstand ich gewinne, desto bewusster wird auch der Umgang damit. Doch ich bin nur „trocken“, nicht geheilt: Einmal durch den Entzug durch, reichen mir immer noch nur kleine Dosen, um benebelt werden.

Ich glaube, der Umgang mit dem Internet ist DAS Thema unserer Zeit – mehr Zeitgeist geht kaum. Ein Thematisieren ist unumgänglich. Ich merke, sobald ich nur eine SMS lese oder nur mal kurz eine E-Mail beantworte: Ich gehe direkt und teilweise unfreiwillig in Resonanz mit dieser anderen Person. Diese schwirrt dann auch noch dann unbewusst in meinem Kopf herum, wenn das Handy oder der Rechner wieder aus sind, und verhindert, klar und frei zu entscheiden, an wen ich gerade denken möchte oder mit wem ich gerade in Resonanz gehen möchte.

Unbewusste Gedankenketten entstehen. Geschieht dies gleich am Morgen, sind die Auswirkungen noch stärker. Am Morgen ist der Geist noch feiner, sensibler, es sollte eigentlich die Zeit sein, sich bewusst und achtsam auf sich selbst und auf den Tag einzustimmen. Eine Möglichkeit, sich zu fragen, an wen man gerne denken würde, mit wem man in Kontakt treten möchte und was heute Thema ist. Oft gehe ich erst mittags und bestenfalls vor dem Unterricht gar nicht in Kontakt mit meinem Handy, um mich voll und ganz auf die Menschen einzustellen, die mich in der Realität erwarten.

Versteht mich nicht falsch: Ich schätze das Medium grundsätzlich sehr – es bietet ja unglaublich gute Möglichkeiten und Vorteile, auf die ich auch nicht mehr verzichten möchte. Und mir ist klar, dass es in den allermeisten Arbeitsfeldern sehr schwierig ist, einen gesunden Ausgleich zwischen On- und Offline-Zeiten zu schaffen. Doch gerade, wenn ein Großteil des Tages vor dem Bildschirm verbracht werden muss, ist es so wichtig ein natürliches Gegengewicht zu schaffen, die Augen und den Geist in den Zwischenzeiten ruhen zu lassen und Regeneration durch Natur, Yoga, Meditation und noch so vieles mehr zu finden.
On-Line freie Morgen- und Abendzeiten – seien sie auch nur ein paar Minuten lang – und in der Zwischenzeit ein wacher Umgang sind, schon eine Menge wert.

In dem Moment, wo wir beginnen, darüber nachzudenken, wie wir in dieser vom Netz geprägten Zeit einen für unser persönliches Leben sinnvollen Umgang mit diesem nützlichen „Werkzeug“ herausfinden, fangen wir direkt an, wieder die Führung zu übernehmen und werden freier. Wie immer ist die innere Eistellung, das, was zählt.

Traut euch, öfter offline zu gehen – und beobachtet, was passiert. Doch dafür braucht es unsere permanente Aufmerksamkeit und Reflexion. Nur so können wir wieder frei werden und selbstbestimmt bleiben. Lasst uns runter von der LINE gehen – und frische Waldluft atmen.