Manneskraft
Ich, in der ein so großer Teil am liebsten immer Mädchen bleiben wollte, weil ich das wahre Bild der Frau völlig missverstand – missverstehen musste – werde nun, den wirklichen Wert langsam begreifend, erkennend und annehmend, immer mehr erwachsen. Doch diese Geschichte kommt später. 😉
Erwachsen werden heißt nicht, hart und leblos zu werden und auch hat Erwachsensein nichts mit dem biologischen Alter zu tun. Der Weg hin zu einem erwachsenen Mann und einer erwachsenen Frau beginnt tatsächlich erst, wenn wir eine Menge bestimmter Erfahrungen gemacht haben und bestimmte Zeiten durchlebt haben. Nur so können wir erkennen, was es heißt, „Mann“ oder „Frau“ zu sein.
Egal ob Junge oder Mädchen: Es geht auf dem Weg, um in die eigene Kraft zu kommen, in das Erkennen der archetypischen Ur-Bilder von Mann und Frau, den bewussten Loslösungsprozess der Eltern, das Abgeben von falsch verstandenen Wirklichkeiten hinein in ein Verständnis, worum es wirklich geht.
Das geht hinein bis ins hohe Alter. Je mehr ich das für mich erkenne und es auch anerkenne, desto mehr Kraft und mir vorher gänzlich unbekannte Aspekte begegnen mir – inmir – die ich vorher nie erahnt hätte. Je mehr ich in mein Frau-sein gehe, desto wahrer und schöner werden die Begegnungen unter Frauen. Und auch die Arbeit mit Frauen und der Wunsch, mich und meine mich umgebenden Frauen zu ermuntern: Steht auf! Geht in eure Kraft, sprecht, traut euch. Werdet laut und gleichzeitig anmutig im Ausdruck eurer inneren Wahrheit. Befreit euch, von allem, was nicht frei in euch ist, werdet unabhängig.
Schwestern, lasst uns gemeinsam wirken.
So viel Liebe und so viel Tiefe, so viel Austausch darf sein, wenn wir uns Herz zu Herz begegnen und uns die Hände reichen.
Je mehr sich meine Augen für das Thema öffneten, desto mehr Frauen auf ähnlichen Reisen begegneten mir. Frauenbewegungen, Kreise, Circles, überall, an jeder Ecke. Frauenpower! Gut, dachte ich, da bewegt sich etwas. Die Frauen stehen auf, mehr und mehr, und zwar schon lange. Weiter so. ? Jede Frau, die ich sehe, die in ihre Kraft geht, berührt mich tief im Herzen, und vor allem, wenn sich Frauen bewegen und gemeinsam etwas Größeres schaffen.
Doch in all der Frauenbewegung fehlte mir ein essentieller Aspekt recht schnell. Na wer wohl? Der Mann!
Der Mann, das Männliche, soll Verantwortlich sein? Der Unterdrücker, des weiblichen sein? In dem Wissen um Selbstverantwortlichkeit in allem frage ich mich: Haben wir uns eventuell unterdrücken lassen? Vielleicht sogar, um uns irgendwann wieder daraus zu befreien, um in diesem Befreiungsprozess diese unendlich starken Kräfte zu erwerben und Bewusstsein zu schaffen, welches wir ohne die Unterdrückung hätten nie erwerben können?
Der Großteil der Männer, denen ich heute begegne sind wach, ehrlich, verständnisvoll, liebevoll, aufmerksam und der Frau gegenüber voll und ganz wertschätzend sind. Klar – die eine oder andere Baustelle haben wir alle, aber es wird. 😉
Was ich auch in diesen Männern sehe, ist ein tiefsitzender und vergrabener Schmerz, eine große Sehnsucht, Angst und Einsamkeit, und was mich sehr bewegt: Auch ein Unterdrücktsein. Oft von sich selbst, mehr noch von der Gesellschaft und einem auf Unwahrheit beruhenden, falschen Männerbild.
Angefangen bei meinem Vater, für mich ein Sinnbild von einer unendlich harten Schale, physisch sichtbar, und darunter ein so großes und aufopferndes Herz, welches gefühlt die Last der Welt auf seinen Schultern trägt. Aufgewachsen in einer Zeit, wo Gefühle zeigen noch gänzlich verpönt war.
Ein Sich-Aufopfern für alle und in all dem ein Nicht-Durchkommen durch die Muskelspannungsschicht zum eigenen weichen Kern – auch ein großes Männerthema und nicht nur ein so oft betontes Frauenthema.
Im Folgenden geht es im erweiterten Sinne um die energetische Last, die das ganze Bild des Mannes trägt und die über all die Zeit aufgebaut wurde – nicht um den einzelnen Mann. Etwas, was aus der Vergangenheit mitschwingt, und sich auch auf das Weltgeschehen an sich bezieht:
Die Männer können oft kaum noch atmen unter all der Spannung und dem Druck, und wenn der Druck steigt, können sie oft nur noch explodieren. Oder in größter Verdrehung und im schlimmsten Falle – sogar im wahrsten Sinne des Wortes – oder sie greifen zur Waffe und der nächste Krieg beginnt.
Der Mann trägt eine schwere Last, ist so beladen von Schuld, und hat eine Menge, durch viele geführte Kriege, blutende Wunden. Vom Mann wird sehr viel erwartet, er soll beschützen, ernähren und verteidigen. Er hat oft noch Blut an den Händen von vielen Taten, zu denen auch er gezwungen wurde. Taten, die er aus sich selbst heraus eventuell niemals begangen hätte, doch der Krieg hat es gefordert.
Eine von falsch verstandener und extrem übersteigerter Männlichkeit dominierte Welt, immer härter werdend, und das wahre Männliche wie das Weibliche unterdrückend. Und warum?
Ich glaube auch hier: Alles hat einen Sinn und die Härte dient dazu, damit wir, Mann UND Frau, uns aus dieser Härte und dem Ungleichgewicht befreien!
Immer kreisen zwei Pole um ein und dasselbe Thema. Es geht immer um den Weg der Mitte, das Ausbalancieren von Ungleichgewicht, welches eben nur durch das Erkennen und Überwinden von inneren und äußeren Widerständen möglich wird. Nur in diesem Entwicklungsprozess entsteht neue und vorher noch nicht dagewesene Bewussteinskraft – ein weiterentwickeltes Bewusstsein, auch hier im Kleinen wie im Großen.
Unter der heute zu stark gewordenen und falsch verstandenen Männlichkeit leiden alle. Mann wie Frau. Wir sind heute in einer Zeit, wo das heilen darf, heilen muss. Wenn wir Männer ausschließen und für die Unterdrückung der Frau alleine verantwortlich machen, wird das nicht zum Ziel führen.
Was ich heute um mich herum erfahre, sind Männer aus der nächsten Generation. Männer, die sich danach sehnen, ihre Waffen nieder zu legen und nicht mehr kämpfen zu müssen. Männer, wo die harte Schale Risse bekommen hat, zu brechen beginnt, aufzubrechen. Und darunter ist ganz klar erstmal ein Riesenschmerz. Eine offene Wunde, die stark blutet.
Das muss MANN sich erstmal trauen. Davor ziehe ich den Hut, und diese Wunde muss dann heilen. Das darf dauern und geht nicht von heute auf morgen. Wenn sie so mutig sind, sich ihrem Schmerz zu stellen, anfangen, ihre Gefühle zu zeigen, wird es einerseits gut gefunden, vielleicht sogar erwartet – und oftmals zugleich als zu „weich“, unmännlich abgestempelt.
Wie MANN es macht, es ist falsch. 😉
Genauso wie mich jede Frau berührt, die in ihre Kraft geht, freue ich mich über jeden Mann, der aufsteht und beginnt zu sprechen, darüber, was ihn wirklich bewegt. Männer, die sich erlauben auch mal laut zu sein und sich das Recht nehmen ihre Wut auszudrücken, auf den Tisch hauen, auch ohne jemanden zu verletzen. Männer die mal brüüüülen, aufgrund des Druckes der auf ihnen lastet. Männer, die sich trauen, sich ihrem Schmerz zu stellen. Und vor allem auch ihrer Angst, die unendlich große Kraft, die sie dann entfalten werden, nicht auszunutzen, wie es oft passierte und passiert, sondern in eine positive Kraft umzuwandeln.
Bei Mann wie bei Frau ist es auch die Angst des Wissens um diese unendliche Ur-Kraft, die sich entfesselt, wenn wir wieder wir selbst werden. Diese Kraft können wir für das Gute, aber auch für Machtmissbrauch einsetzen. Wir Frauen haben uns – zum Reden, Händereichen, Weinen und über die Männer Austauschen, natürlich immer sehr respektvoll und freundlich, wie wir es auch von den Männern erwarten. 😉
Wir Frauen wissen auch um die große Macht, die wir dem Mann gegenüber haben. Genau so wie wir oft ganz genau wissen, wie wir uns dem Mann gegenüber verhalten, welche Knöpfe wir drücken müssen, damit der Mann das tut, was WIR wollen. Die Unterdrückung findet hier viel feiner, subtiler statt, doch das macht sie nicht besser.
Über Frauen und weibliche Kraft wird viel geschrieben, doch was ist wahre Männlichkeit?
Ich glaube, wir brauchen keine Männer, die wie Frauen werden.
Wir brauchen Männer, die erkennen, was Mann-sein bedeutet, sowie wir Frauen brauchen, die erkennen, was Frau-sein ist. Nur wenn der Mann in seine Kraft kommt, können wir das auch und umgekehrt. Wir spiegeln uns permanent gegenseitig, das geschieht im kleinen Privaten und wirkt von dort aus auf das große Gesamtgefüge zwischen männlicher und weiblicher Energie im Kollektiven. Wir einzelnen Menschen sind der Mikrokosmos vom Makrokosmos und haben somit eine große Bedeutung. Nichts lässt sich voneinander trennen, wirkt im Großen wie im Kleinen aufeinander.
Nach einer Zeit, wo sich das Mann-Frau-Bild immer mehr auflöste und die Unterschiede fast verschwammen, ja sogar heute noch oft gesagt wird, wir sollten zwischen Mann und Frau keine Unterschiede machen, beginnt es sich nun langsam – hoffe ich jedenfalls – zu wenden. Mann und Frau sind unterschiedlich, auch wenn wir beide Anteile in uns haben. Diese Anteile im Laufe des Lebens zu balancieren führt uns zu uns selbst, in die eigene Kraft und Unabhängigkeit und somit auch erst in eine Beziehung, frei von Bedürftigkeit. Erst wenn Mann und Frau sich auf Augenhöhe begegnen entsteht Harmonie. Im Großen wie im Kleinen. Auch der Mann braucht einen sicheren Raum, um sich zu öffnen. Einen Raum, in dem er wahrgenommen wird und ermuntert, sich zu zeigen in seiner Männlichkeit. Ich glaube, das geht gut, wenn Männer unter sich sind, und im zweiten Schritt in gemeinsamen Begegnungen.
Ich beobachte oft: Schon ein frei werdender Mann unter vielen Frauen, wie z.B. beim Yoga, kann eine Menge Befreiungskraft und ein Umdenken bewirken – bei den Frauen, wie bei sich selbst.
Die Frauen sehnen sich nach sehenden, fühlenden und kraftvollen Männern. Eben weil sie in ihrer Kraft und nicht blind und taub sind. Auch die Männer wollen sich ausruhen, sich ausruhen dürfen nach all dem Kampf, Spannung und übersteigerter Härte. Nur wenn wir beginnen, den Mann zu sehen, kann er heilen, sowie auch nur wir heilen können, wenn uns der Mann sieht.
Das Weibliche stärkt den Mann und das Männliche die Frau, so soll es sein, zeitgemäß.